„Das ständige Lügen wird wiederkommen, die Desinformation, der Nebel, …“

Alle die­se Unter­su­chun­gen die gründ­li­che Erfor­schung der Sta­si-Struk­tu­ren, der Metho­den, mit denen sie gear­bei­tet haben und immer noch arbei­ten, all das wird in die fal­schen Hän­de gera­ten. Man wird die­se Struk­tu­ren genau­es­tens unter­su­chen – um sie dann zu über­neh­men. Man wird sie ein wenig adap­tie­ren, damit sie zu einer frei­en west­li­chen Gesell­schaft pas­sen. Man wird die Stö­rer auch nicht unbe­dingt ver­haf­ten. Es gibt fei­ne­re Mög­lich­kei­ten, jeman­den unschäd­lich zu machen. Aber die gehei­men Ver­bo­te, das Beob­ach­ten, der Arg­wohn, die Angst, das Iso­lie­ren und Aus­gren­zen, das Brand­mar­ken und Mund­tot­ma­chen derer, die sich nicht anpas­sen – das wird wie­der­kom­men, glaubt mir. Man wird Ein­rich­tun­gen schaf­fen, die viel effek­ti­ver arbei­ten, viel fei­ner als die Sta­si. Auch das stän­di­ge Lügen wird wie­der­kom­men, die Des­in­for­ma­ti­on, der Nebel, in dem alles sei­ne Kon­tur verliert.

Bär­bel Boh­ley: Die Frau, die es voraussah

Die DDR woll­te Gehor­sam und zog Wider­ständ­ler her­an, unser Staat will den mün­di­gen Bür­ger und ern­tet ein Schul­ter­zu­cken. Im gewis­sen Sin­ne ist es ein­fa­cher, in einer Dik­ta­tur auf die Stra­ße zu gehen als in einer demo­kra­ti­schen Gesell­schaft, die unzäh­li­ge Mög­lich­kei­ten für Ablen­kung und für Frei­zeit­spaß bie­tet. Aber der Staat greift wei­ter­hin stän­dig ins Leben des Ein­zel­nen ein. Geis­ti­ge Unter­drü­ckung gibt es auch heute.

Wenn Wider­stand sich dar­auf beschränkt, alle vier Jah­re irgend­wo sein Kreuz­chen zu machen, wird sich nicht viel ändern. Doch lei­der haben die Bür­ger in unse­rer Demo­kra­tie viel zu weni­ge Mög­lich­kei­ten, sich an poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen zu betei­li­gen. Das Volk darf bei uns ja nicht mal den Bun­des­prä­si­den­ten wäh­len. Des­halb brö­ckelt auch die Zustim­mung zur Par­tei­en­de­mo­kra­tie. In Bos­ni­en, wo ich zwölf Jah­re leb­te, habe ich Ähn­li­ches bemerkt. Die Men­schen dort hat­ten gro­ße Hoff­nun­gen für ihre demo­kra­ti­sche Zukunft. Aber dann wur­de ein Sys­tem instal­liert, das wesent­lich weni­ger Mög­lich­kei­ten der Teil­ha­be bot, als sie erwar­tet hat­ten. Wir tun so, als wäre unse­re Demo­kra­tie per­fekt, und über­se­hen dabei, dass vie­le Men­schen gute Grün­de haben, sich von die­ser Demo­kra­tie nicht ver­tre­ten zu fühlen.

Zita­te, vor­ge­tra­gen von der Schau­spie­le­rin Kat­rin Saß auf der Gedenk­fei­er für Bär­bel Boh­ley in der Aka­de­mie der Küns­te (2010)


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